Das Handwerk und die Bautarifverträge
Mindestlohn im Handwerk: Alles so einfach?
Der gesetzliche Mindestlohn beträgt seit dem 01.01.2022 nun 9,82 Euro und steigt zum 1.07.2022 auf 10,45 Euro. Die Bundesregierung plant eine weitere Erhöhung zum 1.10.2022 auf 12,00 Euro und verspricht, dass es dann bis zum 01.01.2024 keine weitere Erhöhung geben soll. Ebenso soll nach dem Willen der Regierung die Mindestlohndokumentationspflicht verschärft werden. Danach entfällt die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten in den in § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes genannten Branchen (z.Bsp. Bau, Hotel und Gaststätten, Logistik, Spedition) erst dann, wenn der Arbeitnehmer mehr als 4.176,00 Euro (bisher 2.958,00 Euro) im Monat verdient oder jeweils mehr als 2.784,00 Euro (bisher 2.000,00 Euro) in den letzten 12 Monaten verdient hat.
Aber darum soll es in diesem Artikel nicht gehen.
Denn neben dem gesetzlichen Mindestlohn gibt es tarifliche Mindestlöhne, die in bestimmten Branchen ebenso verpflichtend zu zahlen sind. Dies gilt keineswegs nur für tarifgebundene Unternehmen. Über Mindestlohnverordnungen oder Allgemeinverbindlicherklärungen werden bestimmte Mindestlohntarifverträge in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich auch auf Betriebe erstreckt, die nicht als Mitglied im jeweiligen Arbeitgeberverband tarifunterworfen sind. Für den Bereich des Handwerks wichtig sind die Bauarbeitsbedingungenverordnung (BauArbbV) sowie die Verordnungen über zwingende Arbeitsbedingungen im Dachdeckerhandwerk, in der Fleischwirtschaft, im Friseurhandwerk, in der Gebäudereinigung, im Gerüstbauerhandwerk, im Maler- und Lackiererhandwerk und für Wäschereidienstleistungen. Die Aufzählung ist keineswegs abschließend. Es würde jedoch den Rahmen dieses Beitrags sprengen, müssten alle diese Verordnungen hier dargestellt werden. Wegen der besonderen Brisanz wird hier lediglich die Baubranche betrachtet, die naturgemäß eine ganz besondere Nähe zum Handwerk aufweist.
Der Baulohn ist höher als der gesetzliche Mindestlohn
Derzeit gilt für alle Baubetriebe die 12. BauArbbV. Diese Verordnung ist zwar zum 31.12.2021 außer Kraft getreten gilt aber für alle Arbeitsverhältnisse in der Baubranche fort. Der Gesamttariflohn in der Lohngruppe 1 beträgt danach einheitlich 12,55 Euro pro Stunde. Nach wie vor ist der Tariflohn der Lohngruppe 2 nur in den alten Bundesländern und Berlin allgemeinverbindlich, wo er 15,40 Euro beträgt. Doch Vorsicht: Maßgeblich für die räumliche Geltung ist nicht der Sitz des Unternehmens, sondern der Ort der Arbeitsstelle, wobei jedoch weiterhin der Mindestlohn des Einstellungsortes gilt, sofern dieser höher ist.
Unterliegen Handwerksbetriebe den Bautarifverträgen?
Dies ist in vielen Prozessen etwa der Urlaubskasse die entscheidende Vorfrage. Mit ca. 60.000 angestrengten Verfahren im Jahr dürfte die Urlaubskasse Spitzenreiter im Klagen sein. Denn diese Klage machen ca. ein Sechstel aller Verfahren vor deutschen Arbeitsgerichten aus.
Wann ist ein Handwerksbetrieb ein Baubetrieb?
Diese Frage ist vor allem bei Mischbetrieben nicht einfach zu beantworten. Die Beurteilung erfolgt anhand der Überprüfung der arbeitszeitlich überwiegend (mehr als 50 Prozent) ausgeübten Tätigkeit, bezogen auf die Gesamtjahresarbeitszeit. Überwiegen die Bautätigkeiten gilt für den ganzen Betrieb die Pflicht zur Zahlung des Baumindestlohns.
Was sind Bautätigkeiten?
In den Bautarifverträgen werden beispielhaft 45 Gewerke (von Abdichtungs- bis Zimmererarbeiten) aufgeführt, die dem Baugewerbe zugerechnet werden (so z.B. in § 1 Abs. 2 Abschnitt V des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe „BRTV“).
Und was gilt für Betriebe, deren Gewerk nicht ausdrücklich genannt ist?
Dann greift die „Auffangnorm“ des Abschnitts I: Das sind „Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen“ und soweit diese nicht direkt von Abschnitt I erfasst werden: „Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die - mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen - der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen“ oder „nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung - mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen - gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen“ (Abschnitte II und III).
Danach sind alle Handwerksbetriebe auch Baubetriebe?
Nicht ganz!. Denn die Bautarifverträge sehen Ausnahmen vor. So werden Betriebe des Betonwaren und Terrazzowaren herstellenden Gewerbes, des Dachdeckerhandwerks, des Gerüstbaugewerbes, des Glaserhandwerks, des Herd- und Ofensetzerhandwerks, des Maler- und Lackiererhandwerks, der Naturstein- und Naturwerksteinindustrie, der Nassbaggerei, des Parkettlegerhandwerks, der Säurebauindustrie, des Schreinerhandwerks sowie der holzbe- und –verarbeitenden Industrie, des Klempnerhandwerks, des Gas- und Wasserinstallationsgewerbes, des Elektroinstallationsgewerbes, des Zentralheizungsbauer- und Lüftungsbauergewerbes sowie des Klimaanlagenbaues und des Steinmetzhandwerks nicht erfasst.
Was ist mit Mischbetrieben, die neben Bauleistungen auch verschiedene Leistungen der vorgenannten Ausnahmen erbringen?
Wenn zum Beispiel in einem Betrieb zu 10% Trockenbauarbeiten erbracht werden, zu 45% Malerleistungen und zu 45% Schreinerarbeiten liegt ein Baubetrieb vor! Denn die Ausnahme greift nur, wenn die dort benannte Tätigkeit allein mehr als 50 % der Arbeitszeit ausfüllt. Die Rechtsprechung untersagt das Zusammenrechnen mehrerer Ausnahmetatbestände. Nicht wenige Experten der Branche halten diese Praxis für verfassungswidrig (Prof. Grzeszick: Verfassungswidrigkeit des Baubegriffs der Sozialkassen im Baugewerbe, NZA 2021, 757).
Was ist mit den Hilfsarbeiten?
Oft werden von den Betrieben nicht nur reine Bauleistungen erbracht. Schließlich muss der Betrieb oft erst Baufreiheit schaffen (Hausmeistertätigkeit) das Material zu Baustelle fahren (Spedition) die Maschinen und Geräte warten (Mechatronik) und am Ende die Baustelle aufräumen (Reinigung).
Sofern diese Tätigkeiten als Vor-, Neben-, Nach- und Hilfsarbeiten den eigenen baulichen Haupttätigkeiten dienen, zu ihrer sachgerechten Ausführung notwendig sind und nach der Verkehrssitte üblicherweise von den Betrieben des Baugewerbes miterledigt werden, gelten sie als sog. Zusammenhangstätigkeiten und werden den Bautätigkeiten zugerechnet. Ein Zusammenrechnen mit der baulichen Haupttätigkeit kommt jedoch nur bei solchen Tätigkeiten in Betracht, die unmittelbar zur Ausführung der jeweiligen Bautätigkeit erforderlich sind, dieser üblicherweise von ihrer Wertigkeit her untergeordnet sind und deshalb regelmäßig auch von ungelernten Hilfskräften ausgeführt werden können.
Was ist mit Arbeitszeiten, die sowohl als Bautätigkeiten als auch als Arbeiten der ausgenommenen Gewerke angesehen werden können?
Führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der oben ausgenommenen Gewerke zuzuordnen sind, kommt es darauf an, welches Gepräge diese "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" dem Betrieb geben. Entscheidend ist in erster Linie der Charakter der überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Die Abgrenzung richtet sich insbesondere danach, ob die "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" von Fachleuten des ausgenommenen Gewerks angeleitet und verrichtet werden. Werden sie von Fachleuten eines Baugewerbes oder von ungelernten Arbeitskräften durchgeführt, wird von der Rechtsprechung regelmäßig eine Ausnahme vom Geltungsbereich der Bautarifverträge abgelehnt.
Werden etwa in einem Betrieb Bodenbeschichtungsarbeiten nicht von Fachleuten des Malerhandwerks ausgeführt, sondern von ungelernten Arbeitskräften liegt ein Baubetrieb vor. Einzelnen Gerichten erscheint diese Zuordnung zu den Betrieben des Baugewerbes nicht mehr zweifelsfrei zu sein. Sie fordern eine wertende Entscheidung anhand aller Umstände des Einzelfalls, ob die Zuordnung zu dem Handwerksbereich gerechtfertigt ist (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 24.01.2020 (10 Sa 71/19 SK).
Im Bereich des Handwerks gibt es nicht wenige Innungen, denen das Aufblähen des betrieblichen Geltungsbereichs der Bautarifverträge ein Dorn im Auge ist. Seit einiger Zeit verhandeln die verschiedenen Interessenvertreter Einschränkungen bei der Erstreckung der Bautarifverträge auf Betriebe, die nicht im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes oder dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie organisiert sind. Die 12. BauArbbV sieht daher in § 2 Anwendungsausnahmen vor:
Die Mindestlohnverordnung erstreckt sich nicht auf Betriebe, die unter einen der fachlichen Geltungsbereiche der am 1. Januar 2003 geltenden Mantel- oder Rahmentarifverträge der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie, der Sägeindustrie und übrigen Holzbearbeitung, der Steine- und Erden-Industrie, der Mörtelindustrie, der Transportbetonindustrie, der chemischen oder kunststoffverarbeitenden Industrie oder der Metall- und Elektroindustrie fallen und die unmittelbar oder mittelbar Mitglied des Hauptverbandes der Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige, der Vereinigung Deutscher Sägewerksverbände e. V., der Sozialpolitischen Arbeitsgemeinschaft Steine und Erden, des Bundesverbandes der Deutschen Mörtelindustrie e. V., des Bundesverbandes der Deutschen Transportbetonindustrie e. V., des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie e. V., der Verbände der kunststoffverarbeitenden Industrie oder eines in der Anlage 3 genannten Arbeitgeberverbandes im Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V. (Gesamtmetall) oder eines ihrer Mitgliedsverbände sind.
Die Mindestlohnverordnung erstreckt sich auch nicht auf Betriebe, die von einem der Rahmentarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk oder deren Allgemeinverbindlicherklärung erfasst werden, die ganz oder teilweise Bauwerke, Bauwerksteile oder einzelne Elemente aus Mauerwerk, Beton, Stahlbeton, Eisen, Stahl oder sonstigen Baustoffen, technische Anlagen abbrechen, demontieren, sprengen, Beton schneiden, sägen, bohren, pressen, soweit sie unmittelbar oder mittelbar tarifgebundenes Mitglied im Deutschen Abbruchverband e. V., im Fachverband Betonbohren und -sägen Deutschland e. V. oder im Abbruchverband Nord e. V. sind; die unmittelbar oder mittelbar Mitglied des Bundesverbands Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. sind, vom Bundesrahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau erfasst werden, die als tarifgebundenes Lohnunternehmen in der Land- und Forstwirtschaft überwiegend landwirtschaftliche Flächen drainieren, die unmittelbar oder mittelbar tarifgebundenes Mitglied des Bundesverbands Holz und Kunststoff, des Bundesverbands Metall - Vereinigung Deutscher Metallhandwerke, des Zentralverbands Sanitär Heizung Klima oder des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke sind.
In einigen Branchen reicht die Mitgliedschaft in den genannten Verbänden allein nicht aus. So kann es auf die konkret ausgeübten Tätigkeiten ankommen, sofern die Mitgliedschaft erst nach dem 30.06.2014 erworben wurde
Fazit
Der gesetzliche Mindestlohn ist nicht in jedem Fall die einzige gesetzliche Lohngröße, die es zu beachten gilt. Auch tarifliche Löhne können für Arbeitsverhältnisse im Handwerk maßgeblich sein, deren Unterschreitung in gleicher Weise mit Bußgeldern geahndet werden kann. Wie der Artikel zeigt ist oft der Rechtsrat eines Experten erforderlich.
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