Der EuGH hat mit Urteil vom 13.12.2018 in der Rechtssache C 385/17 (Hein) festgestellt, dass Arbeitgeber zukünftig nicht auf den Fortbestand der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrauen dürfen, die die Rechtmäßigkeit der Regelungen des BRTV-Bau über den bezahlten Urlaub bestätigt hat.
Das Problem:
In Zeiten angeordneter Kurzarbeit wird die Arbeit verkürzt und das Arbeitsentgelt verringert. Prinzipiell darf der Arbeitnehmer auch in dieser Zeit Urlaub nehmen, wobei der Arbeitgeber das Urlaubsentgelt jedoch in der üblichen Höhe gewähren muss (§ 11 abs. 1 Satz 2 BurlG: „Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten, bleiben für die Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht.“). Allerdings enthält das Bundesurlaubsgesetz in § 13 Abs.2 Satz 1 die Bestimmung, dass in Tarifverträgen des Baugewerbes davon abgewichen werden kann.
Der Fall:
Der Arbeitnehmer war als Betonbauer beschäftigt. Sein Arbeitgeber ordnete saisonbedingte Kurzarbeit an. Das Urlaubsentgelt für die vom Arbeitnehmer genommenen Urlaubstage sowie das Urlaubsgeld kürzte er dann entsprechend. Vor Gericht forderte der Betonbauer von seinem Arbeitgeber jedoch die volle Auszahlung der ihm nach seiner Ansicht zustehenden Urlaubsvergütung samt Zinsen. Nach seiner Ansicht dürften die Kurzarbeitszeiten nicht zu einer Minderung seines Anspruchs auf Urlaubsvergütung führen.
Der Arbeitgeber hingegen berief sich auf eine Regelung im Bundestarifvertrag für das Baugewerbe, die vom Bundesurlaubsgesetz gedeckt sei. Das Arbeitsgericht Verden hat den Fall daraufhin dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt.
Die Entscheidung
Der EuGH hatte nun zu entscheiden, ob das Unionsrecht der nationalen tarifvertraglichen Regelung – vorliegend des BRTV-Bau – entgegensteht. Die Norm des Tarifvertrags sieht vor, dass bei der Berechnung des Vergütungsanspruchs der Verdienst infolge von Kurzarbeitszeiten während des Erholungsurlaubs gekürzt werden darf.
Der Generalanwalt Michal Bobek vertrat in seinen Schlussanträgen die Auffassung, dass die Regelung nicht gegen europäisches Recht verstößt, da sie die Art und Weise der Berechnung von Urlaubsvergütung betrifft. Somit sei es nicht europarechtswidrig, wenn nach einer Phase der Kurzarbeit weniger Urlaubsvergütung an den Arbeitnehmer ausgezahlt werde.
Die Richter sahen dies anders und entschieden, dass Arbeitnehmer - unabhängig von früheren Kurzarbeitszeiten - während ihres Mindestjahresurlaubs Anspruch auf das normale Arbeitsentgelt haben, es folglich nicht einfach gekürzt werden darf.
Denn nach Unionsrecht habe jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Dieser einheitliche Anspruch bestehe aus zwei Aspekten: dem Anspruch auf Jahresurlaub und dem Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsentgelts. Der Gerichtshof führte in seiner Urteilsbegründung aus, dass die Zahlung des Urlaubsentgelts den Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs finanziell in die gleiche Lage versetzen solle, wie in den Zeiten geleisteter Arbeit. Ist dies nicht der Fall, sei zu befürchten, dass der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub deshalb nicht nehme. Der EuGH hob jedoch hervor, dass der Arbeitgeber dieses Entgelt nur für die Dauer des unionsrechtlich vorgesehenen Mindestjahresurlaubs zahlen müsse. Dies gelte jedoch nicht für darüber hinausgehenden Jahresurlaub, der dem Arbeitnehmer nach nationalen Regelungen zustehe.
Weiter wies der EuGH daraufhin, dass für den Anspruch auf Urlaub nicht das Gleiche gilt, wie für den Anspruch auf Urlaubsentgelt. Anspruch auf Jahresurlaub erwerbe der Arbeitnehmer nach EuGH-Auffassung nämlich nur für Zeiträume tatsächlicher Arbeitsleistung. Daher seien die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen. Der EuGH kam deshalb zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer aufgrund der Kurzarbeit nach Unionsrecht nur Anspruch auf zwei Urlaubswochen habe. Tatsächlich hatte er im Jahr 2015 insgesamt 26 Wochen lang nicht gearbeitet. Die exakte Dauer dieser Urlaubszeit müsse aber das nationale Gericht bestimmen.
Die EuGH-Richter betonten, dass das nationale Gericht somit verpflichtet sei, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen. Diese Auslegung müsse im Ergebnis dazu führen, dass die Urlaubsvergütung, die der Arbeitnehmer für den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub erhalte, nicht geringer ausfalle, als das üblicherweise gezahlte Arbeitsentgelt. Ansprüche auf tarifvertragliche Zusatzleistung oder Überstundenvergütung müssten dabei grundsätzlich nicht berücksichtigt werden.
Der EuGH führte in seinem Urteil aus, dass das Unionsrecht die nationalen Gerichte daran hindert, auf der Grundlage des nationalen Rechts das berechtigte Vertrauen der Arbeitgeber zu schützen.
Hinweis:
Vor dem Tarifausschuss beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 14.12.2018 in Berlin haben die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes erklärt, den BRTV europarechtskonform auslegen und bei nächster Gelegenheit entsprechend ändern zu wollen.
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